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Sage

 „Zwischen Prützke und Grebs, wo jetzt der Görnsee ist, soll vor Zeiten ein kleines Dörfchen, Görne, gestanden haben, das in die Tiefe sank, nachdem die Bewohner einen Armen hohnvoll aus dem Dorfe getrieben hatten. Der fremde Wanderer soll nach seiner Misshandlung auf die danebenliegende Höhe gestiegen sein und einen Fluch gesprochen haben, wonach das Dorf, in schwarze Rauchwolken gehüllt, immer tiefer und tiefer sank, bis die Wellen über Menschen und Dächern zusammenschlugen. Nur ein Mädchen mit hellblondem Haar, die Königin des Dorfes genannt, war nach einer naheliegenden Ortschaft gegangen und dadurch vor der Übrigen Schicksal bewahrt worden.

 

Als sie zurückkehrte und an Stelle des Dorfes einen vom Winde gekräuselten See erblickte, glaubte sie, sich verirrt zu haben und durchkreuzte die Gegend nach allen Richtungen hin, bis sie einen alten Mann traf, der mit ihr ging und bestätigte, dass hier kein Irrtum möglich, sondern das Dorf in die Tiefe gesunken sei. Wehklagend fiel sie auf dem danebenliegenden Hügel nieder. – Als die blassgelben Lichtstrahlen der aufgehenden Sonne über ihr Antlitz huschten, war es kalt wie Morgentau, und die sonst purpurnen Lippen waren fahl wie Nebelstreifen. Die naheliegenden Anwohner holten sie zur Bestattung. Da bemerkte man an der Stelle, wo sie gesessen und geweint hatte, klares Wasser aus dem Berghang sickern und sich schließlich als kleine Rinnchen durch den tiefen Sand mühsam dem See zuarbeiten.

 

Das waren ihre Tränen, die der Berg zurückgab und noch gibt, denn noch jetzt schleichen im Hochsommer wie im Winter verstohlene Tropfen über die sandige Wegstraße. Später wollte man zu verschiedenen Malen Menschenstimmen unter dem Wasser gehört haben; aber immer noch war keine bestimmte Nachricht zu erhalten, bis sich eines Tages folgender Fall ereignete: Zwei Fischern, die mit dem Ziehnetz (sackartiges Netz mit zwei langen Seitenwänden) am Vormittag zu derselben Stunde, da man den Wanderer aus dem Dorfe getrieben hatte, dort fischen, bleibt plötzlich das Netz festsitzen und alle Bemühungen, es weiter zu schaffen, bleiben vergeblich.

 

Darüber ärgerlich, fängt der eine an zu fluchen. Kaum aber hat er einige Worte gesprochen, als ihnen ein verworrenes Geschrei, ähnlich, wie wenn Kinder einen Betrunkenen verhöhnen, entgegentönt; auch bemerken sie im Sack des Netzes ein furchtbares Hin und Her, so dass die Zugleinen zittern. Dann wird alles still und das Netz lässt sich federleicht an das Ufer ziehen, enthält aber zu ihrem größten Erstaunen keinen einzigen Fisch. Darauf soll der See lange unbefischt geblieben sein, was den späteren Pächtern nicht unangenehm gewesen ist. An dem Ufer nach Westen zu hat man Torf gestochen und viele menschliche Skelette gefunden, was diese Sage wohl noch befestigt hat.“

 

Friedrich Bamberg